Peter Schlemihls wundersame Geschichte
Nach
einer glücklichen, jedoch für mich sehr beschwerlichen Seefahrt,
erreichten wir endlich den Hafen. Sobald ich mit dem Boote ans Land
kam, belud ich mich selbst mit meiner kleinen Habseligkeit, und durch
das wimmelnde Volk mich drängend, ging ich in das nächste, geringste
Haus hinein, vor welchem ich ein Schild hängen sah. Ich begehrte ein
Zimmer, der Hausknecht maß mich mit einem Blick und führte mich unters
Dach. Ich ließ mir frisches Wasser geben, und genau beschreiben, wo ich
den Herrn Thomas John aufzusuchen habe: – »Vor dem Nordertor, das erste
Landhaus zur rechten Hand, ein großes, neues Haus, von rot und weißem
Marmor mit vielen Säulen.« Gut. – Es war noch früh an der Zeit, ich
schnürte sogleich mein Bündel auf, nahm meinen neu gewandten schwarzen
Rock heraus, zog mich reinlich an in meine besten Kleider, steckte das
Empfehlungsschreiben zu mir, und setzte mich alsbald auf den Weg zu dem
Manne, der mir bei meinen bescheidenen Hoffnungen förderlich sein
sollte.
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Nachdem ich die lange
Norderstraße hinaufgestiegen, und das Tor erreicht, sah ich bald die
Säulen durch das Grüne schimmern – »also hier«, dacht ich. Ich wischte
den Staub von meinen Füßen mit meinem Schnupftuch ab, setzte mein
Halstuch in Ordnung, und zog in Gottes Namen die Klingel. Die Tür
sprang auf. Auf dem Flur hatt ich ein Verhör zu bestehn, der Portier
ließ mich aber anmelden, und ich hatte die Ehre, in den Park gerufen zu
werden, wo Herr John – mit einer kleinen Gesellschaft sich erging. Ich
erkannte gleich den Mann am Glanze seiner wohlbeleibten
Selbstzufriedenheit. Er empfing mich sehr gut, – wie ein Reicher einen
armen Teufel, wandte sich sogar gegen mich, ohne sich jedoch von der
übrigen Gesellschaft abzuwenden, und nahm mir den dargehaltenen Brief
aus der Hand. – »So, so! von meinem Bruder, ich habe lange nichts von
ihm gehört. Er ist doch gesund? – Dort«, fuhr er gegen die Gesellschaft
fort, ohne die Antwort zu erwarten, und wies mit dem Brief auf einen
Hügel, »dort laß ich das neue Gebäude aufführen.« Er brach das Siegel
auf und das Gespräch nicht ab, das sich auf den Reichtum lenkte. »Wer
nicht Herr ist wenigstens einer Million«, warf er hinein, »der ist, man
verzeihe mir das Wort, ein Schuft!« – »O wie wahr!« rief ich aus mit
vollem überströmenden Gefühl. Das mußte ihm gefallen, er lächelte mich
an und sagte: »Bleiben Sie hier, lieber Freund, nachher hab ich
vielleicht Zeit, Ihnen zu sagen, was ich hiezu denke«, er deutete auf
den Brief, den er sodann einsteckte, und wandte sich wieder zu der
Gesellschaft. – Er bot einer jungen Dame den Arm, andere Herren
bemühten sich um andere Schönen, es fand sich, was sich paßte, und man
wallte dem rosenumblühten Hügel zu.
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Ich schlich hinterher, ohne
jemandem beschwerlich zu fallen, denn keine Seele bekümmerte sich
weiter um mich. Die Gesellschaft war sehr aufgeräumt, es ward getändelt
und gescherzt, man sprach zuweilen von leichtsinnigen Dingen wichtig,
von wichtigen öfters leichtsinnig, und gemächlich erging besonders der
Witz über abwesende Freunde und deren Verhältnisse. Ich war da zu
fremd, um von alle dem vieles zu verstehen, zu bekümmert und in mich
gekehrt, um den Sinn auf solche Rätsel zu haben. Wir hatten den
Rosenhain erreicht. Die schöne Fanny, wie es schien, die Herrin des
Tages, wollte aus Eigensinn einen blühenden Zweig selbst brechen, sie
verletzte sich an einem Dorn, und wie von den dunkeln Rosen, floß
Purpur auf ihre zarte Hand. Dieses Ereignis brachte die ganze
Gesellschaft in Bewegung. Es wurde Englisch Pflaster gesucht. Ein
stiller, dünner, hagrer, länglichter, ältlicher Mann, der neben
mitging, und den ich noch nicht bemerkt hatte, steckte sogleich die
Hand in die knapp anliegende Schoßtasche seines altfränkischen,
grautaffentnen Rockes, brachte eine kleine Brieftasche daraus hervor,
öffnete sie, und reichte der Dame mit devoter Verbeugung das Verlangte.
Sie empfing es ohne Aufmerksamkeit für den Geber und ohne Dank, die
Wunde ward verbunden, und man ging weiter den Hügel hinan, von dessen
Rücken man die weite Aussicht über das grüne Labyrinth des Parkes nach
dem unermeßlichen Ozean genießen wollte.
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Der Anblick war wirklich groß
und herrlich. Ein lichter Punkt erschien am Horizont zwischen der
dunklen Flut und der Bläue des Himmels. »Ein Fernrohr her!« rief John,
und noch bevor das auf den Ruf erscheinende Dienervolk in Bewegung kam,
hatte der graue Mann, bescheiden sich verneigend, die Hand schon in die
Rocktasche gesteckt, daraus einen schönen Dollond hervorgezogen, und es
dem Herrn John eingehändigt. Dieser, es sogleich an das Aug bringend,
benachrichtigte die Gesellschaft, es sei das Schiff, das gestern
ausgelaufen, und das widrige Winde im Angesicht des Hafens zurücke
hielten. Das Fernrohr ging von Hand zu Hand, und nicht wieder in die
des Eigentümers; ich aber sah verwundert den Mann an, und wußte nicht,
wie die große Maschine aus der winzigen Tasche herausgekommen war; es
schien aber niemandem aufgefallen zu sein, und man bekümmerte sich
nicht mehr um den grauen Mann, als um mich selber.
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Erfrischungen wurden gereicht,
das seltenste Obst aller Zonen in den kostbarsten Gefäßen. Herr John
machte die Honneurs mit leichtem Anstand und richtete da zum zweiten
Mal ein Wort an mich: »Essen Sie nur; das haben Sie auf der See nicht
gehabt.« Ich verbeugte mich, aber er sah es nicht, er sprach schon mit
jemand anderem. Man hätte sich gern auf den Rasen, am Abhange des
Hügels, der ausgespannten Landschaft gegenüber gelagert, hätte man die
Feuchtigkeit der Erde nicht gescheut. Es wäre göttlich, meinte wer aus
der Gesellschaft, wenn man türkische Teppiche hätte, sie hier
auszubreiten. Der Wunsch war nicht so bald ausgesprochen, als schon der
Mann im grauen Rock die Hand in der Tasche hatte, und mit bescheidener,
ja demütiger Geberde einen reichen, golddurchwirkten türkischen Teppich
daraus zu ziehen bemüht war. Bediente nahmen ihn in Empfang, als müsse
es so sein, und entfalteten ihn am begehrten Orte. Die Gesellschaft
nahm ohne Umstände Platz darauf; ich wiederum sah betroffen den Mann,
die Tasche, den Teppich an, der über zwanzig Schritte in der Länge und
zehn in der Breite maß, und rieb mir die Augen, nicht wissend, was ich
dazu denken sollte, besonders da niemand etwas Merkwürdiges darin fand.
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Ich hätte gern Aufschluß
über den Mann gehabt, und gefragt, wer er sei, nur wußt ich nicht, an
wen ich mich richten sollte, denn ich fürchtete mich fast noch mehr vor
den Herren Bedienten, als vor den bedienten Herren. Ich faßte endlich
ein Herz, und trat an einen jungen Mann heran, der mir von minderem
Ansehen schien als die andern, und der öfter allein gestanden hatte.
Ich bat ihn leise, mir zu sagen, wer der gefällige Mann sei dort im
grauen Kleide. – »Dieser, der wie ein Ende Zwirn aussieht? der einem
Schneider aus der Nadel entlaufen ist?« Ja, der allein steht – »den
kenn ich nicht«, gab er mir zur Antwort, und, wie es schien, eine
längere Unterhaltung mit mir zu vermeiden, wandt er sich weg und sprach
von gleichgültigen Dingen mit einem andern.
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Die Sonne fing jetzt stärker zu
scheinen an, und ward den Damen beschwerlich; die schöne Fanny richtete
nachlässig an den grauen Mann, den, so viel ich weiß, noch niemand
angeredet hatte, die leichtsinnige Frage: ob er nicht auch vielleicht
ein Zelt bei sich habe? Er beantwortete sie durch eine so tiefe
Verbeugung, als widerfahre ihm eine unverdiente Ehre, und hatte schon
die Hand in der Tasche, aus der ich Zeuge, Stangen, Schnüre, Eisenwerk,
kurz, alles, was zu dem prachtvollsten Lustzelt gehört, herauskommen
sah. Die jungen Herren halfen es ausspannen, und es überhing die ganze
Ausdehnung des Teppichs – und keiner fand noch etwas Außerordentliches
darin. Mir war schon lang unheimlich, ja graulich zu Mute, wie
ward mir vollends, als beim nächst ausgesprochenen Wunsch ich ihn noch
aus seiner Tasche drei Reitpferde, ich sage Dir, drei schöne, große
Rappen mit Sattel und Zeug herausziehen sah! – denke Dir, um
Gotteswillen! drei gesattelte Pferde noch aus derselben Tasche, woraus
schon eine Brieftasche, ein Fernrohr, ein gewirkter Teppich, zwanzig
Schritte lang und zehn breit, ein Lustzelt von derselben Größe, und
alle dazu gehörigen Stangen und Eisen, herausgekommen waren! – Wenn ich
Dir nicht beteuerte, es selbst mit eigenen Augen angesehen zu haben,
würdest Du es gewiß nicht glauben.
Adalbert von Chamisso (1781 - 1831) | |
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