(Peter Schlemihl trifft auf seiner Wanderschaft einen unheimlichen Mann, der alles Mögliche aus seiner Tasche zaubern kann.)
So
verlegen und demütig der Mann selbst zu sein schien, so wenig
Aufmerksamkeit ihm auch die andern schenkten, so ward mir doch seine
blasse Erscheinung, von der ich kein Auge abwenden konnte, so
schauerlich, daß ich sie nicht länger ertragen konnte. Ich
beschloß, mich aus der Gesellschaft zu stehlen, was bei der
unbedeutenden Rolle, die ich darinnen spielte, mir ein Leichtes schien.
Ich wollte nach der Stadt zurückkehren, am andern Morgen mein Glück
beim Herrn John wieder versuchen, und, wenn ich den Mut dazu fände, ihn
über den seltsamen grauen Mann befragen. – Wäre es mir nur so zu
entkommen geglückt! Ich hatte mich schon wirklich durch den
Rosenhain, den Hügel hinab, glücklich geschlichen, und befand mich auf
einem freien Rasenplatz, als ich aus Furcht, außer den Wegen durchs
Gras gehend angetroffen zu werden, einen forschenden Blick um mich
warf. – Wie erschrak ich, als ich den Mann im grauen Rock hinter mir
her und auf mich zukommen sah. Er nahm sogleich den Hut vor mir ab, und
verneigte sich so tief, als noch niemand vor mir getan hatte. Es war
kein Zweifel, er wollte mich anreden, und ich konnte, ohne grob zu
sein, es nicht vermeiden. Ich nahm den Hut auch ab, verneigte mich
wieder, und stand da in der Sonne mit bloßem Haupt wie angewurzelt. Ich
sah ihn voller Furcht stier an, und war wie ein Vogel, den eine
Schlange gebannt hat. Er selber schien sehr verlegen zu sein; er hob
den Blick nicht auf, verbeugte sich zu verschiedenen Malen, trat näher,
und redete mich an mit leiser, unsicherer Stimme, ungefähr im Tone
eines Bettelnden.
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»Möge der Herr meine
Zudringlichkeit entschuldigen, wenn ich es wage, ihn so unbekannter
Weise aufzusuchen, ich habe eine Bitte an ihn. Vergönnen Sie gnädigst
–« – »Aber um Gotteswillen, mein Herr!« brach ich in meiner Angst aus,
»was kann ich für einen Mann tun, der –« wir stutzten beide, und
wurden, wie mir däucht, rot. Er nahm nach einem Augenblick des
Schweigens wieder das Wort: »Während der kurzen Zeit, wo ich das Glück
genoß, mich in Ihrer Nähe zu befinden, hab ich, mein Herr, einige Mal –
erlauben Sie, daß ich es Ihnen sage – wirklich mit unaussprechlicher
Bewunderung den schönen, schönen Schatten betrachten können, den Sie in
der Sonne, und gleichsam mit einer gewissen edlen Verachtung, ohne
selbst darauf zu merken, von sich werfen, den herrlichen Schatten da zu
Ihren Füßen. Verzeihen Sie mir die freilich kühne Zumutung. Sollten Sie
sich wohl nicht abgeneigt finden, mir diesen Ihren Schatten zu
überlassen?« Er schwieg, und mir gings wie ein Mühlrad im Kopfe
herum. Was sollt ich aus dem seltsamen Antrag machen, mir meinen
Schatten abzukaufen? Er muß verrückt sein, dacht ich, und mit
verändertem Tone, der zu der Demut des seinigen besser paßte, erwiderte
ich also: »Ei, ei! guter Freund, habt Ihr denn nicht an Eurem
eignen Schatten genug? das heiß ich mir einen Handel von einer ganz
absonderlichen Sorte.« Er fiel sogleich wieder ein: »Ich hab in meiner
Tasche manches, was dem Herrn nicht ganz unwert scheinen möchte; für
diesen unschätzbaren Schatten halt ich den höchsten Preis zu gering.«
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Nun überfiel es mich wieder
kalt, da ich an die Tasche erinnert ward, und ich wußte nicht, wie ich
ihn hatte guter Freund nennen können. Ich nahm wieder das Wort, und
suchte es, wo möglich, mit unendlicher Höflichkeit wieder gut zu machen. »Aber,
mein Herr, verzeihen Sie Ihrem untertänigsten Knecht. Ich verstehe wohl
Ihre Meinung nicht ganz gut, wie könnt ich nur meinen Schatten – –« Er
unterbrach mich: »Ich erbitte mir nur Dero Erlaubnis, hier auf der
Stelle diesen edlen Schatten aufheben zu dürfen und zu mir zu stecken;
wie ich das mache, sei meine Sorge. Dagegen als Beweis meiner
Erkenntlichkeit gegen den Herrn, überlasse ich ihm die Wahl unter allen
Kleinodien, die ich in der Tasche bei mir führe: die ächte
Springwurzel, die Alraunwurzel, Wechselpfennige, Raubtaler, das
Tellertuch von Rolands Knappen, ein Galgenmännlein zu beliebigem Preis;
doch, das wird wohl nichts für Sie sein: besser, Fortunati
Wünschhütlein, neu und haltbar wieder restauriert; auch ein
Glücksseckel, wie der seine gewesen.« – »Fortunati Glücksseckel«, fiel
ich ihm in die Rede, und wie groß meine Angst auch war, hatte er mit
dem einen Wort meinen ganzen Sinn gefangen. Ich bekam einen Schwindel,
und es flimmerte mir wie doppelte Dukaten vor den Augen. »Belieben
gnädigst der Herr diesen Seckel zu besichtigen und zu erproben.« Er
steckte die Hand in die Tasche und zog einen mäßig großen, festgenähten
Beutel, von starkem Korduanleder, an zwei tüchtigen ledernen Schnüren
heraus und händigte mir selbigen ein. Ich griff hinein, und zog zehn
Goldstücke daraus, und wieder zehn, und wieder zehn, und wieder zehn;
ich hielt ihm schnell die Hand hin: »Topp! der Handel gilt, für den
Beutel haben Sie meinen Schatten.« Er schlug ein, kniete dann ungesäumt
vor mir nieder, und mit einer bewundernswürdigen Geschicklichkeit sah
ich ihn meinen Schatten, vom Kopf bis zu meinen Füßen, leise von dem
Grase lösen, aufheben, zusammenrollen und falten, und zuletzt
einstecken. Er stand auf, verbeugte sich noch einmal vor mir, und zog
sich dann nach dem Rosengebüsche zurück. Mich dünkt', ich hörte ihn da
leise für sich lachen. Ich aber hielt den Beutel bei den Schnüren fest,
rund um mich her war die Erde sonnenhell, und in mir war noch keine
Besinnung.
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Ich kam endlich wieder zu
Sinnen, und eilte, diesen Ort zu verlassen, wo ich hoffentlich nichts
mehr zu tun hatte. Ich füllte erst meine Taschen mit Gold, dann band
ich mir die Schnüre des Beutels um den Hals fest, und verbarg ihn
selbst auf meiner Brust. Ich kam unbeachtet aus dem Park, erreichte die
Landstraße, und nahm meinen Weg nach der Stadt. Wie ich in Gedanken dem
Tore zu ging, hört ich hinter mir schreien: »Junger Herr! he! junger
Herr! hören Sie doch!« – Ich sah mich um, ein altes Weib rief mir nach:
»Sehe sich der Herr doch vor, Sie haben Ihren Schatten verloren.« –
»Danke, Mütterchen!« ich warf ihr ein Goldstück für den wohlgemeinten
Rat hin, und trat unter die Bäume. Am Tore mußt ich gleich wieder
von der Schildwacht hören: »Wo hat der Herr seinen Schatten gelassen?«
und gleich wieder darauf von ein paar Frauen: »Jesus Maria! der arme
Mensch hat keinen Schatten!« Das fing an mich zu verdrießen, und ich
vermied sehr sorgfältig, in die Sonne zu treten. Das ging aber nicht
überall an, zum Beispiel nicht über die Breitestraße, die ich zunächst
durchkreuzen mußte, und zwar, zu meinem Unheil, in eben der Stunde, wo
die Knaben aus der Schule gingen. Ein verdammter buckeliger Schlingel,
ich seh ihn noch, hatte es gleich weg, daß mir ein Schatten fehle. Er
verriet mich mit großem Geschrei der sämtlichen literarischen
Straßenjugend der Vorstadt, welche sofort mich zu rezensieren und mit
Kot zu bewerfen anfing: »Ordentliche Leute pflegten ihren Schatten mit
sich zu nehmen, wenn sie in die Sonne gingen.« Um sie von mir
abzuwehren, warf ich Gold zu vollen Händen unter sie, und sprang in
einen Mietswagen, zu dem mir mitleidige Seelen verhalfen.
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Sobald ich mich in der
rollenden Kutsche allein fand, fing ich bitterlich an zu weinen. Es
mußte schon die Ahnung in mir aufsteigen: daß, um so viel das Gold auf
Erden Verdienst und Tugend überwiegt, um so viel der Schatten höher als
selbst das Gold geschätzt werde; und wie ich früher den Reichtum meinem
Gewissen aufgeopfert, hatte ich jetzt den Schatten für bloßes Gold
hingegeben; was konnte, was sollte auf Erden aus mir werden! Ich
war noch sehr verstört, als der Wagen vor meinem alten Wirtshause
hielt; ich erschrak über die Vorstellung, nur noch jenes schlechte
Dachzimmer zu betreten. Ich ließ mir meine Sachen herabholen, empfing
den ärmlichen Bündel mit Verachtung, warf einige Goldstücke hin, und
befahl, vor das vornehmste Hotel vorzufahren. Das Haus war gegen Norden
gelegen, ich hatte die Sonne nicht zu fürchten. Ich schickte den
Kutscher mit Gold weg, ließ mir die besten Zimmer vorn heraus anweisen,
und verschloß mich darin, sobald ich konnte.
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Was denkest Du, das ich nun anfing?
– O mein lieber Chamisso, selbst vor Dir es zu gestehen, macht mich
erröten. Ich zog den unglücklichen Seckel aus meiner Brust hervor, und
mit einer Art Wut, die, wie eine flackernde Feuersbrunst, sich in mir
durch sich selbst mehrte, zog ich Gold daraus, und Gold, und Gold, und
immer mehr Gold, und streute es auf den Estrich, und schritt darüber
hin, und ließ es klirren, und warf, mein armes Herz an dem Glanze, an
dem Klange weidend, immer des Metalles mehr zu dem Metalle, bis ich
ermüdet selbst auf das reiche Lager sank und schwelgend darin wühlte,
mich darüber wälzte. So verging der Tag, der Abend, ich schloß meine
Tür nicht auf, die Nacht fand mich liegend auf dem Golde, und darauf
übermannte mich der Schlaf. (...) Ich erwachte. Es schien noch
sehr früh zu sein. Meine Uhr stand. Ich war wie zerschlagen, durstig
und hungrig auch noch; ich hatte seit dem vorigen Morgen nichts
gegessen. Ich stieß von mir mit Unwillen und Überdruß dieses Gold, an
dem ich kurz vorher mein törichtes Herz gesättiget; nun wußt ich
verdrießlich nicht, was ich damit anfangen sollte. Es durfte nicht so
liegen bleiben – ich versuchte, ob es der Beutel wieder verschlingen
wollte – Nein. Keines meiner Fenster öffnete sich über die See. Ich
mußte mich bequemen, es mühsam und mit sauerm Schweiß zu einem großen
Schrank, der in einem Kabinet stand, zu schleppen, und es darin zu
verpacken. Ich ließ nur einige Handvoll da liegen. Nachdem ich mit der
Arbeit fertig geworden, legt ich mich erschöpft in einen Lehnstuhl, und
erwartete, daß sich Leute im Hause zu regen anfingen. Ich ließ, sobald
es möglich war, zu essen bringen und den Wirt zu mir kommen.
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